Kritische Anmerkungen zum Vortrag "Der Dirigent Hermann Levi und sein Verhältnis zu Bayreuth" von Prof. Dr. Stephan Mösch am 13.01.2024 vor der Münchner Richard Wagner Gesellschaft
Bereits beim Titel des Vortrags stoplert man, denn eigentlich müsste es ja heissen "Levi's Verhältnis zu Wagner" oder "Levi und Wagner's Parsifal". Sei's drum, möchte man als alter Wagnerianer sagen und sich entspannt zurücklehnen. Dies ist hier leider nicht möglich, denn weder erfährt man etwas über das Verhältnis Levi's zu Wagner noch zu dessen Parsifal, und schon gar nicht über Levi's Verhältnis zu Bayreuth.
Ich war gewiss nicht der einzige, der sich von diesem Vortrag Antwort auf die brennende Frage erhoffte, was Richard Wagner bei dem ihm unterstellten Antisemitismus dazu bewogen haben könnte, ausgerechnet dem Wagner unerfahrenen jüdischen Dirigenten Hermann Levi die Uraufführung seines Bühnenweihfestspiels Parsifal zu übertragen anstelle z.B. Richter, Bülow oder gar Liszt zu berufen.
Diese Frage, das sei vorweggenommen, wurde nicht beantwortet. Auch dann nicht, als ich sie coram publico stellte. Dabei wäre die Antwort denkbar einfach gewesen. Entweder gab es ungeheuer wichtige künstlerische Gründe dafür, die trotz Wagner's (unterstelltem) Antisemitismus den Ausschlag gaben oder es war mit dessen (unterstelltem) Antisemitismus letzten Endes nicht weit her. Letzteres muss bei Beachtung der Denkgesetze und der intellektuellen Redlichkeit aus dem Umstand geschlossen werden, dass kein einziger künstlerischer Grund für Levi's Berufung genannt wurde. Der ganze Vorgang blieb im Dunklen. Fast könnte man salopp im Volkston sagen, Levi sei zum Parsifal gekommen wie die Jungfrau zum Kind.
Wie dem auch immer sei, es bleibt die brennende Frage offen, warum der Referent sein Publikum nicht wenigstens mit der Feststellung nach Hause geschickt hat, dass Wagner's Entscheidung für den Juden Levi berechtigte Zweifel an dessen Antisemitismus zulasse. Wenn Sie mich als alten Wagnerianer fragen, dann sage ich Ihnen, dass viel dafür spricht, dass Wagner ganz unvoreingenommen Gefallen gefunden hatte an Levi's jugendlichem Enthusiasmus und dieser viceversa Wagner's musikalisches Genie grenzenlos bewunderte. Wer möchte ihm das verargen?
In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, warum der Vortragende mit keinem Wort erwähnt, dass Levi, der in Wahnfried ein- und ausging, begeisterte Briefe an seine Eltern schrieb. Warum hat er sich andererseits die Mühe gemacht, seinen Zuhörern allerlei Indikatoren für Cosima's angeblich antisemitische Grundstimmung aufzutischen, die hier doch gar nicht zur Diskussion stand.
Damit will ich es aus Zeitgründen bewenden lassen, obwohl mir noch unzählige Fragen zum Verhältnis Wagner – Levi – Parsifal auf der Zunge liegen. Es wäre höchst wünschenswert, wenn sich Herr Prof. Dr. Mösch in einer Nachbetrachtung damit erneut beschäftigen könnte.
Erich Fischer, 06.02.2024
Gründer der www.internationalestiftung.de